AI im Wahlkampf: Mein Chat GPT-Agent im Landtagswahlkampf Brandenburg
- Jochen König
- 7. Okt. 2024
- 6 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Okt. 2024

In den vergangenen Monaten habe ich mich ehrenamtlich im Wahlkampf der SPD in meinem Wahlkreis in Brandenburg engagiert und einen ChatGPT Agent gebaut. Bei meiner Recherche, vor allem für den Social-Media-Wahlkampf, bin ich auf keine nützlichen Prompts oder Anwendungen gestoßen. Bislang gibt es nur wenige praktische Beispiele für AI-Anwendungen in deutschen Wahlkämpfen, abgesehen von einigen Kleinigkeiten wie AI-generierten Wahlkampfplakaten und der eher vagen Nutzung von ChatGPT zur Recherche von Inhalten. Mein früherer Dozent Martin Fuchs hat letztes Jahr einige Beispiele zusammengetragen (hier anschauen). Deswegen möchte ich in diesem Beitrag meine Erfahrungen bei der Erstellung und Nutzung eines GPT-Agents speziell für den Wahlkampf teilen.
Input für einen ChatGPT-Agent im Wahlkampf
Die Grundlage bildet ein ChatGPT-Agent, der speziell für den Wahlkampf eine:r Kandidat:in erstellt wird. Es geht darum, ChatGPT so viele Informationen wie möglich über die Person, den Wahlkreis und die politischen Inhalte zu übermitteln. Das ist am Anfang aufwendig, aber die Arbeit lohnt sich, da der Agent mit jeder Interaktion dazulernt und vor allem für jede neue Anfrage im Verlauf des Wahlkampfs die Informationen speichert. In den letzten vier Wochen vor der Wahl in Brandenburg habe ich die Daten fast täglich aktualisiert, und die Ergebnisse wurden immer besser. Folgende Daten und Informationen habe ich für die initiale Erstellung genutzt:
1.Wahlkreis
Im ersten Schritt sammelt man alle Informationen über den Wahlkreis – von den Postleitzahlen über die Bevölkerungsstruktur bis hin zu den Wahlergebnissen der letzten fünf Jahre. Auch ist es sinnvoll, alle Wikipedia-Artikel zu den Gemeinden und Orten im Wahlkreis zu sammeln. Etwas mühsamer war es, aus der regionalen Presse so viele Artikel wie möglich mit Bezug auf Wahlkreis zu sammeln.
Wahlergebnisse auf Stimmbezirksebene aller Wahlen der letzten fünf Jahre
Landkarte des Wahlkreises
Wikipedia-Artikel zu den einzelnen Kommunen und Orten
Artikel aus Online-Zeitungen der letzten 12 Monate, gefiltert nach den einzelnen Orten im Wahlkreis
Fortlaufend Wahlumfragen auf Landesebene (Bitte nicht Wahlkreisprognose.de nutzen – das bringt nichts!)
2.Hintergrund und Position der Kandidierenden und der Landespartei
Im zweiten Schritt geht es um die Sammlung aller Informationen und Daten zur Kandidat:in und den politischen Positionen der Landespartei. Entscheidend sind hierbei möglichst lange Texte mit politischen Positionen und Zielen sowie eine ausführliche Biografie und Darlegung der politischen Motivation und Werte der Kandidat:in. Die Inhalte müssen nicht perfekt sein. Es reicht aus, mit Fragmenten zu arbeiten. Wichtig ist, dass die Informationen so ausführlich wie möglich in Textform vorliegen. Neben den wahlkampfspezifischen Positionen sollte man auch folgende Inhalte als Input nutzen:
Inhalte der Website
Positionspapiere und Zeitungsartikel
Wahlprogramm der Landespartei
Download der Social-Media-Beiträge der Kandidat:in und der Landespartei sowie der Spitzenkandidat:innen
Fotos und Stockmaterial aus dem Wahlkreis und von der Kandidat:in
Designvorlagen und Schriftarten von der Partei oder eigene Canva-Vorlagen
Eine weitere Möglichkeit, die ich nicht genutzt habe, wäre, sich mit der Kandidat:in vor einen Laptop zu setzen, die Diktierfunktion von Word anzuschalten und die Kandidat:in ihre Positionen und Motivationen in einer Art Interview in eigenen Worten erzählen zu lassen. Das Rohdokument kann man dann speichern und hochladen.
3.Rolle festlegen
Wenn all diese Informationen und Daten in den ChatGPT-Agent eingegeben wurden, geht es im nächsten Schritt darum, dem Agent zu sagen, welche Aufgaben er mit den Informationen speziell übernehmen soll. Die erste Differenzierung in der Aufgabendefinition ist die Rolle, in der der Agent handeln soll. Ich habe den Chat-GPT Agent angewiesen, zwischen drei Rollen zu unterscheiden:
Rolle Wahlkampfleiter:in:
Organisatorische Aufgaben (Content-Kalender, Wahlkampfstände, Mobilisierung der Mitglieder)
Zielgruppenentscheidung (Wo im Wahlkreis soll ich aktiv werden?)
Produktion von Inhalten (Erstellen von Inhalten basierend auf den Positionen und Programmen der Kandidat*in und Landespartei)
Rolle Kandidat:in:
Optimierung der politischen Positionen
Tonalität von Reden
Botschaften und Interaktion mit Wähler*innen
Rolle Wähler:in:
Welche Themen sind wichtig?
Was ist in welchen Orten des Wahlkreises wichtig gewesen?
Ist die Kombination aus Thema und Ort relevant?
Einschätzungen, ob Inhalte und Botschaften überzeugen

Erfahrungsbericht
Die initiale Erstellung war aufwendig. Der Agent ist nur so gut, wie die Daten strukturiert sind und genügend Text-Input vorhanden ist. Am schwierigsten fand ich es, die einzelnen Nutzungspfade für die Aufgaben entsprechend den Rollen zu erstellen. Im Laufe des Wahlkampfs wurden meine Prompts sowie die Verfeinerung der Nutzungspfade jedoch besser. Es war definitiv wichtig, dass ich mir alle Dokumente und Datensätze vorab angeschaut habe und deren Inhalte kannte. Für die folgenden zwei Aufgaben habe ich den Agenten am häufigsten genutzt:
1.Erstellung und Planung von Social-Media-Content
Mit Abstand die meistbenutzte Aufgabe im Wahlkampf. Ich habe entlang der drei Themenschwerpunkte im Wahlkampf sowie Briefwahl-Content und Wahlaufrufen insgesamt mehr als 300 Content-Vorlagen produziert, von denen ich am Ende knapp 100 genutzt habe. Der Agent kopierte diese in ein Excel-Sheet, und ich baute am Ende noch einen Content-Kalender für die letzten vier Wochen mit den einzelnen Themenstrecken. Dieser Anwendungsfall ist vermutlich auch am meisten verbreitet im Kontext von Wahlkämpfen: das Generieren von Slogans, Social-Media-Beiträgen und Storyboards für Videos. Abschließend würde ich sagen, dass der Output des Agents nach der 80/20-Regel für mich funktionierte. Ich habe die Ergebnisse in erster Linie als „Inspiration“ und Variation betrachtet und anschließend angepasst, sowohl die Texte als auch die generierten Hashtags. Vor allem bei der Erstellung einer Content-Strecke entstehen schnell Redundanzen in den Formulierungsvorschlägen des Agents.
2.Anpassung von Texten und Positionspapieren
Die zweitmeist genutzte Aufgabe war die Anpassung bestehender Texte nach Verwendungsfall und Tonalität. Das bedeutet, bestehende Papiere basierend auf aktuellen politischen Ereignissen und neuen Inhalten für die Website oder Social Media so zusammenzufassen, dass die Botschaft für den Anlass oder das Format passt. Vermutlich hätte ich dafür gar nicht den Agenten gebraucht, aber ich hatte im Laufe des Wahlkampfs das Gefühl, dass die Kernbotschaften immer besser wurden, und ich konnte mit der richtigen Tonalität neuen Content zu aktuellen politischen Ereignissen schneller produzieren.
Welche Funktionen ich in Zukunft ausbauen würde
Mein größter Fehler bei der Konzeption des Agents war, dass ich zu viele Aufgaben und Funktionen in einen Agenten packen wollte. Es wäre vermutlich sinnvoller, mehrere Agenten für besser abgegrenzte Aufgaben zu erstellen, um damit die Genauigkeit zu erhöhen und auch die Prompts stetig zu optimieren. Die folgenden Funktionen und Aufgaben sollten meiner Meinung nach weiter ausgebaut und differenziert werden, da sie in meinem Agenten nicht besonders gut funktioniert haben:
1.Zielgruppen- und Wahlergebnisanalyse für die Ressourcenplanung
Ich hatte mir mehr von den Wahlergebnissen der letzten fünf Jahre auf Stimmbezirksebene erhofft, um beispielsweise Zielgruppen für Social Media zu modellieren oder Plakatstandorte im Wahlkreis sowie Tür-zu-Tür-Aktionen und Wahlkampfstände besser zu planen. Der Agent hat zu Beginn definitiv geholfen, Zeit einzusparen, indem er potenzielle Hochburgen auf Stimmbezirksebene über mehrere Wahlen hinweg identifizierte. Allerdings gab es einen Fehler in den Datensätzen der Wahlergebnisse, den der Agent nicht erkannte. Die Stimmbezirke waren nicht immer identisch (Kommunal-, Europa-, Bundestags- und Landtagswahl), was zu falschen Analysen führte. Mit etwas mehr Zeit und Modellierung des Datensatzes hätte sich das jedoch beheben lassen.
2.Automatisierte Erstellung von Social-Media-Content
Letztlich habe ich den eigentlichen Content (Grafiken und Videos) händisch in Canva erstellt. Mit mehr Zeit und Aufwand hätte ich das natürlich auch in einem separaten Agenten abwickeln können. Es gibt Anleitungen und andere Agents, um dies zu automatisieren und so den Aufwand massiv zu reduzieren. Wenn man die Dateien und Grafikvorlagen sauber strukturiert sowie Elemente und Schriftarten hochlädt, könnte man theoretisch auch direkt die Share-Bilder mit Text erstellen lassen. Mit einer weiteren Anbindung an die Facebook-API könnte man am Ende sogar theoretisch direkt den Content posten. Das würde aber voraussetzen, dass der Content zu 100 % den Vorstellungen entspricht. Möchte man Anpassungen vornehmen, müsste man diese wiederum in Canva oder Photoshop basierend auf der generierten Content-Vorlage des Agenten durchführen.
3.Ein Agent, der speziell die Rolle von Wähler:innen übernimmt
Ich habe im gesamten Wahlkampf am wenigsten die angelegte Rolle „Wähler:in“ in meinem Agent genutzt. Ich habe schnell festgestellt, dass ich nicht genug Dateninput und faktisch keinen Aufwand in die Modellierung dieser Rolle investiert habe. Stattdessen habe ich fast immer als Wahlkampfleiter oder Kandidierende mit dem Agenten interagiert. Rückblickend bin ich jedoch sicher, dass es spannend wäre, einen Agenten zu bauen, der mit Informationen ausgestattet wird, die verschiedene Wählertypen abbilden. Mit Zeitungsartikeln und Social-Media-Beiträgen aus beispielsweise Facebook-Gruppen einer Stadt, kombiniert mit Wahlergebnissen und soziodemografischen Parametern, könnte man eine digitale Persona oder Fokusgruppe erstellen.
Bilanz
Wie oben beschrieben, habe ich meinen GPT-Agenten hauptsächlich für die Erstellung und Planung von Social-Media-Content genutzt, was keinen neuen, spannenden Anwendungsfall darstellt. Hat sich der Aufwand also gelohnt, extra einen GPT-Agenten zu bauen? Die Antwort lautet: Jein.
Ja, weil im Laufe der Nutzung die Ergebnisse bei den Content-Vorschlägen immer besser wurden, vor allem bei der Erstellung tagespolitischer Inhalte. Es lohnt sich, weil die genutzten Daten und Informationen die Ergebnisse und Vorschläge direkt beeinflussen.
Nein, der Aufwand hat sich dahingehend nicht gelohnt, weil ich kaum neue Erkenntnisse, Entscheidungsgrundlagen oder Arbeitsprozesse durch den Agenten genutzt habe. Im Endeffekt war die Modellierung und Strukturierung des Agenten einfach noch nicht gut genug. Ich glaube, es wäre sinnvoll, mehrere Agenten anzulegen, die spezifischere Teilaufgaben und -funktionen übernehmen sollten.
Ausblick
Gerade die Automatisierung bei der Erstellung von Social-Media-Content und anderen Inhalten kann zur Bundestagswahl 2025 deutlich ausgebaut und ein breiter genutzter Anwendungsfall von ChatGPT im Wahlkampf werden. Abgesehen davon ist die Analyse von Wahlergebnissen und das Erstellen von Personas oder Fokusgruppen für Wahlkämpfe ein spannender Anwendungsfall. Am Ende kommt es jedoch immer auf die Qualität des Inputs an. Wenn man die eigenen Daten und Input-Texte nicht kennt, werden die Ergebnisse auch keine neuen Erkenntnisse, Entscheidungsgrundlagen oder Zeitersparnisse bringen. Irgendwie ist es aber auch beruhigend zu wissen, dass ChatGPT nicht „schlauer“ ist als eine Person mit politischer Erfahrung, die das Modell nutzt. Oder besser gesagt: noch nicht…
Hinweis
Wer auch nicht nur theoretisch über Anwendungsmöglichkeiten von AI schreiben möchte, sondern auchselbst was bauen will, der sollte beim Hackathon der Landesvertretung BW mitmachen. Unter dem Titel "Politik trifft Technologie" treffen sich einige kluge Köpfe um hoffentlich neue Anwendungen die nutzbar und praktisch sind zu bauen. Mehr dazu hier: https://www.wahlexe.de/de/