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TikTok, Parteien und Fascho-Yuppies: Warum das Zählen von AfD-Accounts auch nach der Europawahl nichts bringt

  • Autorenbild: Jochen König
    Jochen König
  • 12. Juni 2024
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 7. Okt. 2024



Nach der Europawahl wird wieder viel über die Stärke der AfD bei TikTok geschrieben. Mit dem aktuellen Spiegel-Cover (Nr. 24, 8.6.2024), einem Online-Artikel zu den Accounts der Parteien und einem Artikel über einen Fascho-Yuppie, der den Account von Maximilian Krah und anderen AfDlern betreut, wurde bereits vor der Europawahl die Rolle der AfD auf TikTok thematisiert.

Um ehrlich zu sein, sind meiner Meinung nach die Bewertungen der AfD auf TikTok genauso undifferenziert wie bei der Debatte um die Stärke der AfD auf Facebook vor 8 Jahren.  


Denn auch 2024 glauben manche, dass durch das Abzählen von Followern der offiziellen Accounts der Parteien irgendwelche Rückschlüsse auf Gegenmaßnahmen möglich sind, um gerade Jungwähler:innen auf TikTok wieder zu erreichen.

Follower zählen ist sowas von 2018

Das Zählen von Followern, Views und Themendifferenzierung von Parteien und Spitzenpolitikern anhand einer kleinen Auswahl offizieller Accounts hat wenig bis keine Aussagekraft. Was ist die Erkenntnis daraus, immer wieder festzustellen, dass die AfD auf ihren offiziellen Accounts die meisten Follower hat und auch Reichweite erzielt? Die Empörung: Reclaim TikTok ist da. Jetzt müssen wir dagegenhalten. Ist auch richtig. Worauf es aber bei der TikTok-Reichweite ankommt, um Rechtsradikale auf TikTok zu stellen, wird meistens außen vorgelassen.


Die tatsächliche Reichweite ist das Fundament für jegliche Strategien einer Kontra-Kommunikation gegen die AfD

Die offiziellen Accounts der AfD sind nur der Ausgangspunkt. Man muss weitergehen. Denn die wirkliche Reichweite entfaltet sich durch die verdeckte Reichweite. Ironischerweise erzählt das der Fascho-Yuppie im Spiegel sogar selbst:

„Die „TikTok-Guerilla“ ist sein neuster Coup: ein über die Messenger-App Telegram organisierter Schwarm von AfD-Fans, die dabei helfen sollen, die Zensurversuche der Plattform auszuschalten.“ (…) Das bedeutet für Krah: Es ist relativ egal, ob sein eigener Account gedrosselt wird. Solange nur genug andere Accounts immer wieder seine Ansprache hochladen, kann man die Plattform weiter damit fluten.“ (Nr. 24, 8.6.2024; S. 112)

Diese Methode ist nicht neu. Schon vor Jahren wurde dies im Kontext der Rolle der AfD auf Facebook als „koordinierte Viralitätsmaximierung“ bezeichnet. Denn wer nur die offiziellen Accounts zählt, sieht nicht die echte Reichweite, erkennt nicht die Unterstützeraccounts. Und wer die tatsächliche, die verdeckte Reichweite nicht kennt, kann auch nicht gezielt und koordiniert gegen die AfD und ihre Unterstützer auf TikTok vorgehen.

 

Gegen die AfD und Rechtsradikale auf TikTok vorzugehen ist viel schwerer als früher auf Facebook oder Twitter

Facebook hatte damals eine verhältnismäßig „gute“ API. Die Verbreitungs-formate waren Posts, Werbeanzeigen und Gruppen. Twitter hatte eine sehr gute API, mit der eben alle Accounts öffentlich durchsucht werden konnten.

 Bei TikTok ist es aber besonders schwierig. Vorgeschlagene Videos sind perfekt auf die individuellen Präferenzen abgestimmt, das Durchsuchen des Netzwerks ist schwierig und die Qualität des Zugangs zur API von außen unterirdisch. Durch die Perfektionierung der Personalisierung, werden die verdeckten Reichweiten und tehmenspezifischen Rabbit Holes auf TikTok immer größer.  


Zwei Beispiele:


Am Sonntag habe ich einen jungen Aktiven aus einem Demokratieforum in Brandenburg getroffen. Er kam gerade von einer einwöchigen Demokratiereise mit 50 Schüler aus Polen zurück. Er erzählte, dass die meisten Schüler die AfD wählen wollen, weil diese was gegen die Islamisten und Linksradikale tun, die unser Land kaputt machen. Auf Rückfrage wussten die Schüler nichts über das Geheimtreffen in Potsdam oder über Statistiken von rechtsradikalen Gewalttaten. Auch nicht über die Beobachtung der AfD und die völkischen Aussagen ihrer Vertreter. Der junge Aktivist erzählte mir erschöpft, dass er in der vergangenen Woche unzählige, lange Gespräche mit den Schüler geführt hat. Und selbst die „coolen“ Jungs aus der letzten Bus Reihe waren schockiert. Schockiert davon, dass sie das alles nicht über die AfD wussten. Auf meine Frage, warum dies so ist, sagte der junge Aktivist: „Die bekommen diese Infos nicht in ihren TikTok-Feed rein. Maximal schauen sie noch Tagesschau auf Instagram. Aber ansonsten sehen sie nicht die Gegenseite zur AfD.“


Ein junger Aktivist muss also eine Woche mit 50 Schüler:innen auf eine Demokratiereise nach Polen fahren und unzählige Gespräche führen um Jugendlichen eine Gegenperspektive auf den AfD-TikTok-Newsfeed anzubieten und sie davon zu überzeugen, die AfD bei der Europawahl nicht zu wählen. Dem ist, glaube ich, nichts hinzuzufügen.

Es ist nicht schwer, selbst auf TikTok nachzuerleben, wovon die Jugendlichen berichten. Mir wurde vor ein paar Tagen ein TikTok-Lip-Sync-Video angezeigt mit dem AfD-Song „Wir sind bereit“. Der Sound wurde von einem Account namens Optimus-12Prime 🇩🇪 hochgeladen. Der Account hat gerade mal 4.429 Follower und 110 Likes. Das Video mit dem AfD-Song erreicht auch nur bislang 32K Views mit dem Account. Insgesamt wurden mit dem Sound von Optimus-12Prime bislang 1.693 Videos aufgenommen (Zahlen vom 12.06.2024).


Allerdings hat ein weiterer Unterstützer-Account mit dem Namen „afd.deutsches.vaterland“ ebenfalls den Sound von Optimus-12Prime genutzt mit folgender Performance:

  • über 70K Likes

  • mehr als 8K Shares

  • über 993K Views

und das bei gerade mal etwas über 19K Followern (Zahlen vom 12.06.2024).




Solche Video-/Sound-Trends der AfD lassen sich nicht identifizieren, wenn man sich nur die offiziellen Accounts ansieht. Stattdessen muss man mit technischem Aufwand mehrere TikTok-Accounts darauf „konditionieren“, vor allem AfD- und Umfeld-nahen Content zu konsumieren. Erst dann eröffnet sich langsam über Unterstützeraccounts, Sounds, Hashtags und Suchthemen die tatsächliche Reichweite.

 

Warum ist die verdeckte Reichweite so wichtig?

Jetzt könnte man natürlich sagen, es macht ja keinen Unterschied. Die AfD wird trotzdem, wie beim bloßen Abzählen von offiziellen Accounts, weit vor allen anderen Parteien sein. Stimmt auch. An dem Ranking wird sich nichts verändern. Aber mit der Analyse der tatsächlichen Reichweite lassen sich Kommunikationsentscheidungen treffen, die sich konkret aus den Themen, Videoformaten, Hashtags und der Stärke von verdeckten Unterstützeraccounts ableiten lassen.


Welche AfD-Unterstützeraccounts veröffentlichen wann, mit wie viel Reichweite zu welchen Themen, Sounds und Hashtags neue Videos? Diese Fragen lassen sich mit der verdeckten Reichweite beantworten, nicht aber mit dem Zählen von offiziellen AfD-Accounts.


Mit diesen Informationen lassen sich Formate entwickeln, um zu reagieren. Lassen sich Formate identifizieren, die man auch von der AfD kopieren kann. Lassen sich Trends und Schlüssel-Accounts aus dem Unterstützernetzwerk identifizieren, gegen die man spezifisch kommunikativ vorgehen kann.


Es ist nicht einfach, aber es gibt Hoffnung.

Natürlich ist es alles andere als einfach, die tatsächlichen Reichweiten zu ermitteln und verdeckte Unterstützernetzwerke offen zu legen. Genau darüber schreibt der Spiegel auch in seiner aktuellen Ausgabe (Nr. 24, 8.6.2024; S 12) anhand, der mal wieder großartigen Arbeit, der Stiftung „Neue Verantwortung“. Die Intransparenz von TikTok-Eigentümer ByteDance ist massiv. Schlimmer als bei Facebook oder früher Twitter.


Eine gute Nachricht gibt es aber noch.Ein kleines Team namens „Reclaim TikTok“ hat im Umfeld der „ReclaimTikTok“hat dieses Jahr im Umfeld der Re:publica  einen Hackathon von N3XTCODER gewonnen. Ziel ist es, genau die verdeckten Reichweiten der AfD und anderen Rechtsradikalen für demokratische Kräfte zugänglich zu machen.


Das macht Hoffnung.

 
 
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